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Stammbaumanalyse

Grundlagen

Zur Stammbaumanalyse durch einen Genetiker kommt es immer dann, wenn in einer Familie der Kinderwunsch aufkommt, aber in der Vergangenheit vermehrt Erbkrankheiten aufgetreten sind. Mit einem genetischen Stammbaum ist die Einschätzung und etwaige Eingrenzung der Risiken möglich. Doch vorweg zunächst einiges an Basiswissen:
Der Mensch besitzt insgesamt 46 Chromosomen. Durch die Befruchtung von Ei- und Samenzelle wird aus zwei haploiden (2 x 23) Chromosomensätzen von Mutter und Vater ein diploider Chromosomensatz (46). Dementsprechend liegt in jeder Zelle, abgesehen von den Keimzellen, jedes Chromosom in zwei Varianten vor. Einmal von der Mutter, sowie einmal vom Vater. Man spricht dabei auch von homologen Chromosomen (Chromosomenpaare 1. bis 22.), weil sie die gleichen Gene tragen. Eine Ausnahme hiervon bilden die Geschlechtschromosomen (Chromosomenpaar 23.), auch unter dem Fachbegriff der heterologen Chromosomen (Chromosomenpaar 23.) bekannt. Sie bestimmen, ob wir genetisch Mann (XY) oder Frau (XX) sind.

Ob sich bestimmte Erbkrankheiten ausprägen oder nicht, liegt an den gespeicherten Geninformationen auf den einzelnen Chromosomen. Wie und Was im Einzelnen zur Ausprägung führt, wird sich im Laufe dieses Lernmoduls noch von deutlich werden.

Bei der Stammbaumanalyse geht es im Wesentlichen um zwei Fragen:
1. Wird das zu untersuchende Merkmal (also die Erbkrankheit) über die Autosomen (Chromosomenpaare 1 bis 22) oder die Gonosomen (Geschlechtschromosomen XX bzw. XY) vererbt?
2. Liegt ein dominanter- oder ein rezessiver Erbgang vor? Bei dominanten Erbgängen reicht ein dominantes Allel (entweder von der Mutter oder vom Vater) für die Ausbildung der Krankheit (Aa oder AA). Dagegen müssen bei rezessiven Erbgängen beide Allele identisch sein (aa) , damit es zur Merkmalsausbildung kommt.

Daraus ergeben sich jetzt fünf verschiedene Kombinationen an Erbgängen, die im folgenden alle anhand eines beispielhaften Stammbaums erläutert werden.

Autosomal-dominanter Erbgang
Autosomal-rezessiver Erbgang
X-chromosomal-dominanter Erbgang (Gonosomal)
X-chromosomal-rezessiver Erbgang (Gonosomal)
Y-chromosomaler Erbgang (Gonosomal)

Grundvokabular und Visualisierung

Biologisches Fachvokabular zum präzisen Ausdruck ist unerlässlich. Daher zu Beginn Standartvokabular aus der klassischen Genetik:

Phänotyp: äußeres Erscheinungsbild eines Organismus. Das Erscheinungsbild wird stets vom Genotyp bestimmt. Im Falle der Stammbaumanalyse ist der Phänotyp gleichbedeutend mit der Ausprägung der Krankheit des jeweiligen Erbgangs.
Genotyp: gesamte genetische Ausstattung eines Organismus. Für die Stammbaumanalyse werden pro Erbgang immer nur zwei entsprechenden homologe Chromosomen betrachtet, die für die Ausprägung der Krankheit verantwortlich sind. Bei autosomalen Erbgängen werden die Variabeln A und a (stellvertretend für dominant und rezessiv), bei gonosomalen Erbgängen die Variabeln X und Y (stellvertretend für die Chromosomen) benutzt.
Allel: bezeichnet die verschiedenen Varianten/Ausprägungen eines Merkmals bzw. Gens
rezessives Merkmal: wird innerhalb der Stammbaumanalyse mit der Variable "a" dargestellt.
dominantes Merkmal: wird innerhalb der Stammbaumanalyse mit der Variable "A" dargestellt.
homozygot: beide Allele sind identisch (entweder AA oder aa)
heterozygot: beide Allele unterscheiden sich (z.B. Aa)

Stammbäume werden einheitlich visualisiert:
Kreis (mit Farbe) = Frau (mit Erbkrankheit)
Viereck (mit Farbe) = Mann (mit Erbkrankheit)
Kreis mit Punkt = Konduktorin (Überträgerin)

Autosomal-dominante Vererbung

Für die Ausprägung des Merkmals in einem autosomal-dominanten Erbgang muss mindestens ein dominantes Allel (A) im Genotyp auftauchen.

(1) und (2) sind homozygot bzw. heterozygot für das entsprechende Merkmal, demnach sind sie beide erkrankt. Ihre Kinder (5) und (6) können wegen der Mutter (1) nur Merkmalsträger sein. Sie vererbt immer mindestens ein dominantes Allel, sodass der Genotyp des Vaters keine Rolle spielt.
Dagegen können die Kinder von (3) und (4) durchaus gesund sein, da die Mutter (3) zwei Gesunde Allele besitzt, und der Vater (4) ein gesundes Allel. Solange das dominante Allel des Vaters (4) außen vor bleibt, werden gesunde Kinder immer homozygot (aa -> 7 & 9) und kranke heterozygot (Aa -> 8) sein. Innerhalb eines autosomal-dominanten Erbgangs sind alle gesunden Personen genotypisch immer eindeutig mit (aa) bestimmbar! Demzufolge sind die Kinder der Eltern (9) und (10) auch ausnahmslos gesund, denn wenn kein Elterteil das Merkmal in sich trägt, kann es auch nicht vererbt werden.
Bei den Nachkommen von (6) und (7) entscheidet wieder der Zufall, ob sie Merkmalsträger sind oder nicht. Entweder vererbt der Vater (6) das dominante-, oder das rezessive Gen. Im ersten Fall ist das Kind erkrankt (11), im zweiten Fall homozygot gesund (12).

Was deutet auf einen autosomal-dominanten Erbgang hin?
Fast in jeder Generation finden sich Merkmalsträger
Frauen wie Männer sind in einem ähnlichen Verhältnis betroffen
Ist ein Kind für das Merkmal positiv, ist es auch ein Elternteil

Beispiele für Autosomal-dominante Erbgänge: Chorea Huntington, Marfan-Syndrom, Neurofibromatose, Polydaktylie (Vielfingerigkeit)

Autosomal-rezessive Vererbung

Damit es in einem autosomal-rezessiven Erbgang zu einer Merkmalsausprägung kommt, müssen beide rezessiven Allele homozygot (aa) vorliegen.

Mutter (1) und Vater (2) sind phänotypisch gesund. Dennoch tragen sie beide das rezessive (a) Allel in sich. Ihre Nachkommen erkranken nur, wenn sie von beiden Elterteilen das rezessive Gen weitervererbt bekommen (6). Solange mindestens ein dominantes Gen, entweder von Mutter oder Vater, vererbt wird, ist das Kind phänotypisch gesund (5).
Bei direkten Nachkommen von (3) und (4) wird die Erbkrankheit ohne Ausnahme nicht auftreten. Denn der Genotyp der Mutter (3) erweist sich als homozygot gesund, sodass im Genotyp der Kinder immer mindestens ein (A) vorhanden sein wird.
Sowohl bei den Eltern (6) und (7), als auch (8) und (9) besteht die Gefahr einer Weitervererbung. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist bei (6) und (7) aber höher, denn Mutter (6) wird im Gegensatz zu Vater (8) auf jeden Fall ein rezessives Allel weitervererben. Bei (8) besteht noch die Möglichkeit einer Weitervererbung des dominanten Allels (A).

Was deutet auf einen autosomal-rezessiven Erbgang hin?
Nicht in jeder Generation finden sich Merkmalsträger
Frauen wie Männer sind in einem ähnlichen Verhältnis betroffen
Eltern können gesund sein, während ihre Kinder Merkmalsträger sind

Beispiele für Autosomal-rezessive Erbgänge: Albinismus, Mukoviszidose, Kretinismus, Sichelzellanämie

X-chromosomal-dominante Vererbung (Gonosomal)

Im Unterschied zu autosomalen Erbgängen werden bei gonosomalen Erbgängen die Merkmale über die Geschlechtschromosomen vererbt. Daher benutzt man praktischerweise als Variabeln direkt die Chromosomen X (dominant),x (rezessiv) und Y (in diesem Erbgang bei der Vererbung ohne Bedeutung).

Aufgrund der Tatsache das Männer lediglich ein X-Chromosom besitzen, ist ihr Genotyp bei X-chromosomal-dominanten Erbgängen immer eindeutig. Entweder sie besitzen ein rezessives Allel und sind gesund (xY), oder sie besitzen ein dominantes Allel und sind krank (XY).
Die Töchter eines Vaters mit Merkmalsausprägung werden phänotypisch immer die Krankheit ausbilden, denn sie erhalten in jedem Fall das dominante X-Chromosom. Im Stammbaum ist das an Vater (7) und seinen Töchtern (10) und (11) erkennbar.
Bei der heterozygoten Mutter (1) und dem gesunden Vater (2) entscheidet abermals der Zufall der Chromosomenverteilung, ob es zur Merkmalsausprägung kommt (5 und 7) oder nicht (6). Demnach sind auch phänotypisch gesunde Töchter immer zweifelsfrei genotypisch bestimmtbar (xx).
Eltern (3) und (4) sind dagegen für die Erbkrankheit unbedeutend. Wie schon bei den autosomal-dominanten Erbgängen gilt: Nicht vorhandene Merkmale können auch nicht vererbt werden.

Was deutet auf einen X-gonosomal-dominanten Erbgang hin?
In fast jeder Generation finden sich Merkmalssträger
Frauen wie Männer sind betroffen, erstere idR häufiger
Ist der Vater Merkmalsträger, so sind es alle seine Töchter ebenfalls

Beispiele für X-gonosomal-dominante Erbgänge: Alport-Syndrom, Vitamin-D-resistente Rachitis

X-chromosomal-rezessive Vererbung (Gonosomal)

Wie auch schon beim X-chromosomal-dominanten Erbgang, sind Männer beim X-chromosomal-rezessiven Erbgang immer eindeutig hinsichtlich ihres Genotyps und Phänotyps zu bestimmen. Entweder sie besitzen ein rezessives Allel und sind krank (xY), oder sie besitzen ein dominantes Allel und sind gesund (XY). Innerhalb dieses Erbgangs fungieren Frauen als Konduktorinnen, daher sie übertragen das rezessive Allel (x), ohne selbst von der Erbkrankheit betroffen zu sein (Xx). Frauen können im Gegensatz zu Männern das rezessive (kranke) Gen durch ein dominantes (gesundes) Gen ausgleichen, wodurch es nicht zur Ausprägung des Merkmals kommt. Deshalb sind in X-chromosomal-rezessiven Erbgängen deutlich mehr Männer betroffen.
Im vorliegenden Stammbaum sind (1), (3) und (6) Konduktorinnen der Erbkrankheit. Der Zufall entscheidet erneut über die Chromosomenverteilung der Nachkommen. Wegen ihres dominanten Allels sind (unabhängig des Genotyps des Vaters) sowohl gesunde (8), als auch kranke (10,11) Kinder möglich. Einen Unterschied gibt es lediglich hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit für eine Ausprägung des Merkmals, denn ein gesunder Vater (7) vererbt im Gegensatz zu einem kranken Vater (4) nur dominante Allele (die eine Ausprägung verhindern).
Doch auch Frauen können erkranken (9). Nämlich dann, wenn die Mutter Konduktorin (3), und der Vater (4) selbst Träger der Erbkrankheit ist.

Was deutet auf einen X-gonosomal-rezessiven Erbgang hin?
Überwiegend sind Männer die Merkmalsträger
Frauen als Konduktorinnen, ohne selbst betroffen zu sein
Frauen sind nur betroffen, wenn Vater betroffen und Mutter Konduktorin

Beispiele für X-gonosomal-rezessive Erbgänge: Hämophilie (Bluterkrankheit), Rot-Grün-Blindheit

Y-chromosomal-dominante Vererbung (Gonosomal)

Der Vollständigkeit halber sei auch noch der Y-chromosomal-dominante Erbgang erwähnt. Wie im Stammbaum schon auffällt, sind ausschließlich Männer betroffen und das hat einen simplen Grund: Frauen "fehlt" das Y-Chromosom. Deshalb gibt es bei der Merkmalsvererbung in diesem Erbgang nur eine einzige Regel: Männer vererben das Y-Chromosom stets an ihre Söhne weiter.
Das Y-Chromosom ist hauptsächlich für die Ausbildung des männlichen Phänotyps verantwortlich, besitzt aber selbst kaum anderes genetisches Material, weswegen die Existenz dieser Erbgangs keinesfalls als gesichert anzusehen ist.

Was deutet auf einen Y-gonosomal-dominanten Erbgang hin?
Ausschließlich sind Männer die Merkmalsträger
Ist der Vater betroffen, sind es ausnahmslos seine Söhne auch
Frauen sind weder betroffen, noch Konduktorin

Beispiele für Y-gonosomal-dominante Erbgänge: ?

Zusammenfassung

  • Die Stammbaumanalyse eignet sich zur Diagnostik und Risikoabwägung bei der Vererbung von Erbkrankheiten.
  • Es wird zwischen dominanten und rezessiven Erbgängen, sowie autosomalen und gonosomalen Erbgängen unterschieden.
  • Insgesamt gibt es mit autosomal-dominant, autosomal-rezessiv, gonosomal-dominant, gonosomal-rezessiv und y-chromosomal fünf verschiedene Erbgänge, von denen letzterer nicht als Bewiesen gilt.

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